Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von Luarca nach A Caridá

Tag 22 (Montag, 27.3.2023) von Luarca nach A Caridá

Ich bin heute früh um viertel acht in Luarca aufgebrochen. Da war es noch stockfinster. Sonnenaufgang ist hier nach neuer Zeitrechnung 8.16 Uhr. Es war aber kein Problem, im Dunkeln den Weg zu finden. Man muss nur nach der Straße suchen, die am steilsten nach oben führt. Unterwegs ergaben sich noch tolle Blicke auf die Stadt, die man nicht alle im Foto festhalten konnte. Von da oben hat man zum Beispiel gesehen, dass die Brückenbögen, die unten hinter den Häusern zu sehen waren, zu einem riesigen Eisenbahn-Viadukt gehören, das ein ganzes Stadtviertel überspannt. Rings um den Hafen brannte viel Licht. Die Fischer waren da bestimmt schon längst auf ihren Booten.

Heute war der Weg sehr einfach, denn es gab nur wenige Steigungen und die waren sehr mäßig. Es war also nicht erforderlich, die 30-km-Etappe abzukürzen, wie ich ursprünglich vorhatte. Am Morgen in Luarca habe ich gar nicht nach einer offenen Bar gesucht und darauf gehofft, dass ich unterwegs meinen „Café con leche“ bekomme. Aber die erste Gaststätte, 3 km entfernt, hatte um acht noch zu und die nächste kam erst nach weiteren 9 km in Villapedre. Da war es dann schon fast Mittag und die rechte Zeit für ein großes Bocadillo. Als ich fertig war, kamen Tori und John. Bis dahin hatte ich noch keinen Pilger getroffen.

Aber ein Stück weiter stand plötzlich von hinten kommend ein 2-Meter-Mann neben mir: Thomas aus Leipzig. Er ist auch in Irun gestartet, vier Tage vor mir. Er ist Bauingenieur und war bis vor kurzem bei der Bahn als Projektleiter tätig. Nach einem großen Projekt wollte er sich eine Auszeit gönnen und hat drei Monate Sabbatical (unbezahlten Urlaub) beantragt, was ihm auch genehmigt wurde. Dann haben sich aber Gründe ergeben, den Job zu kündigen und sich was anderes zu suchen. Da hat ihm die Personaltante offenbart, dass Sabbatical und Kündigung zusammen nicht zulässig seien, dass aber eine (bezahlte!) Freistellung für die letzten drei Monate möglich sei. Da hat er nicht Nein sagen können. Er hat beim Erzählen aber gleich darauf hingewiesen, dass dies kein Steuerzahler erfahren darf. Also vergesst das ganz schnell wieder, im richtigen Leben gibt es sowas ohnehin nicht. Thomas hat absichtlich Hotels statt Herbergen gewählt, um abends seine Ruhe zu haben. Er wollte sich hier auf dem Weg Gedanken machen, was er nach den drei Monaten macht. Aber er hat gemerkt, dass es gut ist, erstmal den Kopf frei zu bekommen. Ich habe ihn dabei bestärkt, sich erstmal gar keine Gedanken zu machen und das Grübeln auf die Zeit danach zu verschieben.

Es ist wirklich eine schöne Erfahrung, im Laufe des Tages aufzuschrecken und festzustellen, dass man die letzten Stunden an gar nichts gedacht hat. Leider hält einen oft das Smartphone davon ab, weil man da doch laufend drauf schaut, um zu sehen, ob man noch auf dem rechten Weg ist, was die Uhr sagt, wie das Wetter wird, wie viele Kilometer man schon hat oder noch laufen muss, wo die nächste Herberge ist, wie weit man morgen laufen will usw. Und natürlich um Bilder zu machen, die das schwach werdende Gedächtnis unterstützen sollen. Wenn man das Ding schon mal in der Hand hat, kann man ja auch gleich mal schauen, ob eine Mail oder WhatsApp gekommen ist … Hier muss ich noch an mir arbeiten. Pro Camino ein Sturz mit dem Smartphone vor der Nase sind nicht Lehre genug. Um eins war ich mit Thomas in Navia, wo er ein Hotel gebucht hat. Da das erst um zwei aufmacht, hat er mich noch auf ein Bier eingeladen.

Ab da bin ich wieder allein weiter, noch gut 10 km bis nach A Caridá (La Caridad), wo es zwei Herbergen gibt. Beide liegen dicht beieinander am Ortseingang, eine in einer ruhigen Seitenstraße, die andere an der Hauptstraße. Vor der ersten, die verrammelt war, wartete schon ein französisches Ehepaar, das zu berichten wusste, dass der Hospitalero um 19.15 Uhr kommt. Ein gleichlautender Zettel war auch durchs Fenster zu erkennen. Bis dahin waren noch über zwei Stunden Zeit, weshalb ich zum nächsten Supermarkt bin, um mir was zu essen zu kaufen und bis zur Herbergsöffnung Picknick zu machen. Als ich zwanzig Minuten später zurückkam, war die Herberge offen und fast alle unteren Betten waren bereits belegt: die zwei Franzosen aus der Dordogne, die beiden Spanier, die ich schon kannte, und Alex. Ich habe das vorletzte untere Bett bekommen. Und wer hat das letzte? Antoine, der eine halbe Stunde später vor der Tür stand. Jetzt sitzen wir alle draußen auf den Bänken, essen und schwatzen oder versuchen, Tagebuch zu schreiben.

21.30 Uhr. Übers Palavern ist es spät geworden - außerdem draußen ziemlich kalt. Inzwischen liegen alle in den Betten und ich werde hier im Vorraum auch gleich ver­schwinden, weil das Licht den ganzen Schlafsaal flutet. Alex kam vorhin mit einer japanischen Ravioli-Variante aus dem Supermarkt wieder, die auch Mikrowellentauglich ist. Mit frischem Salat, guter Butter und Sojasoße, die er extra dafür erworben hat, gab das ein recht gutes Mahl. Ich war eigentlich von zwei Büchsen Muscheln mit Weißbrot schon ziemlich satt, aber da sich nicht genug Abnehmer für die Ravioli fanden, habe ich da noch mal ordentlich zugelangt. Wer weiß, wofür man die Kalorien noch gebrauchen kann.

Camino del Norte - Tag 22