Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von A Caridá nach Ribadeo

Tag 23 (Dienstag, 28.3.2023) von A Caridá nach Ribadeo

Ich habe in der 7-Euro-Herberge in A Caridá hervorragend geschlafen. Kurz vor sieben waren alle wach, aber jeder hat leise im Dunkeln gepackt und keiner hat sich getraut, das Licht anzumachen. Da alle noch was vom abendlichen Einkauf übrig hatten, haben wir bis auf die beiden Spanier, die schon unterwegs waren, zusammen um den großen Tisch im Vorraum gesessen und was gegessen. Leider waren der Kaffeeautomat außer Betrieb und die Küchenausstattung etwas dürftig. Die vom abendlichen Ravioli-Essen übrig gebliebene Butter musste mit dem Löffel aufs Brot geschmiert werden, weil es keine Messer gab. Das ging aber. Tragischer war, dass es als Trinkgefäße nur Biergläser gab, die nicht in die Mikrowelle passten, so dass keine Möglichkeit bestand, heißes Wasser für einen löslichen Kaffee zu bereiten.

Mit dem Hellwerden sind Alex und ich aufgebrochen. Ich musste ihn aber bald laufen lassen, weil ich da nicht mithalten kann. Außerdem tat mir, wie seit Wochen immer mal, ein Knie weh. Aber das war wahrscheinlich noch nicht auf Betriebstemperatur, denn nach einer halben Stunde ging’s. Als Trost fürs Hinterherhinken fand ich nach einer Weile auf einem Markierungsstein eine Büchse „Mahou“, die mir Alex da hingestellt hat. Ich konnte mich später mit einer Socke revanchieren, die einst an seinem Rucksack baumelte und nun vor mir auf dem Weg lag.

Der Weg führte überwiegend auf ausgestorbenen Landstraßen an der Küste entlang. Aber immer so weit entfernt, dass man nur ab und zu mal zwischen den Hügeln das Wasser zu sehen bekam. An einer Stelle, wo in der Karte ein kleiner Strand und davor eine Aussicht eingezeichnet waren, bin ich mal abgezweigt und die paar hundert Meter dorthin gelaufen. Das hat sich gelohnt, weil man von der Aussicht aus gut die Lücke zwischen den Felsen und den dort liegenden Strand einsehen konnte. Leider war gerade gar kein Wellengang, das wäre sonst bestimmt wieder ein brausendes Erlebnis geworden.

In Tapia de Casariego, einem kleinen Hafenstädtchen bin ich wieder vom Weg runter, der geradewegs durch den Ort führt. Ich bin bis ans Wasser ran und habe eine wunderbare Promenade gefunden, die hinter den Häusern in etwa 20 Meter Höhe an Hafen und Strand entlang führt. Zwischendrin immer mal schöne Sitzgelegenheiten. Eine davon habe ich fürs zweite Frühstück benutzt - mit Blick auf den Leuchtturm und den schräg unter mir liegenden Hafen. Zurück auf dem Weg habe ich vor der Kirche Antoine getroffen, der da barfuß auf einer Bank saß und seine zerschundenen Füße gepflegt hat. Hier in Tapia bot sich auch erstmals die Möglichkeit, einen Kaffee zu trinken. Zum Glück ist bei mir die Kaffeesucht nicht mehr so ausgeprägt wie früher. Sonst wäre es eine Tortur, sich den ganzen Vormittag ohne Koffein im Leib zu quälen.

Am Ortsausgang von Tapia windet sich die Straße um einen weit ins Land hineinreichenden Strand mit schönen Parkanlagen und Autostellplätzen drum rum. Ein Stück weiter bin ich erneut vom Weg runter zur Küste, weil dort ein Strand angepriesen wurde. Und da es morgen von der Küste weg geht, könnte das schon fast der letzte sein. Der Strand war tatsächlich sehr schön, groß und mit feinem Sand sehr einladend. Ein Herr hat mir geraten, unterhalb der Steilküste am Strand weiter zu laufen, bei der herrschenden Ebbe wäre das ungefährlich. Ich habe auch einen Anlauf gemacht, den ich dann aber am ersten Wasserlauf abgebrochen habe, der sich über den Strand zog. Den hätte man durchwaten müssen, aber ich hatte keine Lust, mir dafür die Schuhe auszuziehen und bin stattdessen wieder zurück auf den Weg. Von Ferne habe ich da schon jemand mit rotem Kopftuch gesehen, der auf mein Winken hin anhielt: Thomas aus Leipzig. Mit dem bin ich dann bis ans Ziel gelaufen.

Inzwischen war es ziemlich warm geworden und als der Weg mal wieder (dieses Mal auf einem ordentlichen Holzbohlenweg) an einem Stand vorbei führte, beschlich uns die Hoffnung, dass wenigstens eine der von weitem sichtbaren Gaststätten offen hat. Aber die eine gehört zu einem Campingplatz und macht vermutlich erst in der Saison auf, die andere war ebenfalls geschlossen, aber drinnen war jemand am Schaffen. Der sagte uns, dass er dabei ist, alles für die Eröffnung am Sonnabend vorzubereiten. Erfreulicherweise hatte er schon den Kühlschrank befüllt und in Betrieb genommen. Er war so nett, uns zwei Büchsen „Mahou“ zu verkaufen und hat uns sogar zwei Stühle auf die noch leere Terrasse gestellt und Knabberzeug gebracht. Das ergab eine richtig schöne Pause mit Blick auf den noch menschen­leeren, von kleinen Felsen eingerahmten Strand. Frisch gestärkt ging es dann weiter bis zur Autobahnbrücke über die Ria (Mündung) des Rio Eo, der hier zugleich die Grenze zwischen Asturien und Galicien bildet. Auf der endlos lang erscheinenden Brücke, die beidseits einen schmalen Gehweg aufweist, habe ich also das Fürstentum Asturien, wie die Autonome Gemeinschaft (Provinz) offiziell heißt, verlassen und Galicien erreicht. Anders als auf dem Camino Francés wird man nicht durch einen eindrucksvollen Grenzstein begrüßt, sondern nur durch ein über der Autobahn hängendes grünes Schild.

Am Ende der Brücke trennten sich unsere Wege. Thomas ist nach links in den Ort, wo er ein Hotel gebucht hat und ich bin theoretisch nach rechts, aber praktisch in vielen Windungen unter der Autobahn hindurch abgebogen. 100 Meter neben der Brücke, oben auf der Klippe an der Ria gelegen, befindet sich die angepeilte 12-Betten-Herberge, die laut Pilgerführer immer ganz schnell voll ist. Ich hatte deshalb Alex, der auch dort absteigen wollte, gebeten, mir ein Bett freizuhalten. Das war aber nicht nötig, denn als ich kam, war er noch der Einzige in der Herberge. Später kam noch ein Dritter (Spanier) und um 22 Uhr, als der Hospitalero schon weg war, noch ein Engländer, der mit dem Flieger nach Santiago und von dort mit dem Bus hier her ist, was wohl länger als gedacht gedauert hat.

Alex hat schon auf mich gelauert, weil wir verabredet hatten, Waschtag zu machen und uns Maschine und Kosten zu teilen. Er hat übers Internet in der Stadt einen Waschsalon ausfindig gemacht, der aber schon um sechs schließt. Inzwischen war es halb fünf und fast eine halbe Stunde Weg dorthin. Aber wir haben den Waschsalon gleich gefunden und alles rechtzeitig geschafft. Die Wartezeit haben wir uns gegenüber in einem Café, wo es praktischer­weise immer auch Bier gibt, vertrieben. Zwischendurch musste nur mal einer rüber und die Wäsche aus der Waschmaschine in den Trockner befördern. Dort kam sie dann so trocken raus, dass man sie sofort anziehen konnte. Toll.

Auf dem Rückweg haben wir noch Abendbrot und Proviant für morgen eingekauft. Da ich in der Herberge ein Ceranfeld gesehen hatte, habe ich Tütensuppen gekauft und wollte die gleich aufsetzen, als wir zurück waren. Aber in der Küche gibt es weder Topf noch Teller und Besteck. Der Sachkostenfonds der Kommune, welche die Herberge betreibt, ist also offenbar klamm. Anders sieht es beim Personal aus. Da sitzt, vermutlich ganzjährig wie heute einer von 13 bis 22 Uhr in der Herberge, um von den maximal 12 Schlafgästen je 8 € zu kassieren. Selbst wenn die Hütte voll ist, ergibt das keine 100 € am Tag. Aber der Herr mittleren Alters, sicher ein städtischer Angestellter, sitzt halt auch hier, wenn wie heute nur drei kommen. (Den vierten hat er ja nicht mehr zu sehen bekommen, weil er früher Feierabend gemacht hat.) Und für‘s Klopapier-Kaufen ist vermutlich noch ein anderer zuständig, denn als ich den Herrn darauf hinwies, dass nur auf einer der beiden Toiletten welches wäre, hat er mir zu verstehen gegeben, dass er das nicht ändern könne, weil kein Klopapier vorrätig sei.

Alex wollte abends unbedingt noch mal zum Fischessen in ein Restaurant. Ich habe stattdessen mit einem Büchsen-Abendbrot vorliebgenommen und bin dann nochmal los, um die Umgebung zu erkunden. Gleich nebenan befindet sich eine ehemalige Verladestelle für hier geförderte Kohle. Die „abgebrochene Brücke“ hat man rekonstruiert und als Aussichts­plattform über der Ria hergerichtet. Daneben ist eine kleine Festung, die man besichtigen kann, und mehrere noble Treppen führen hinunter zu winzigen, steinigen Stränden. Eine Straße mit breitem Radweg und einem durchgängig mit Naturstein gepflasterten Gehweg führt über 1,7 km zu einer kleinen, über eine Brücke erreichbaren Insel mit zwei Leucht­türmen. Einer wie üblich rund und schwarz/weiß bemalt, der andere ein flaches, quadra­tisches, blaues Haus, aus dem oben die Kuppel mit dem Leuchtfeuer herausragt. Und ringsherum ist die felsige Insel mit Grünzeug bewachsen, aus dem unendlich viele lila Blumen (Astern?) herausragen. Ein traumhaft schöner Anblick. Nun war noch eine halbe Stunde Zeit bis zum Sonnenuntergang um 20.46 Uhr. Da die sinkende Sonne hinter ein paar Wölkchen schon mal für tolles Abendlicht gesorgt hat, habe ich Großartiges erwartet und in der zunehmenden Kälte ausgeharrt. Aber da dort, wo die Sonne untergehen sollte, Wolken über den Bergen lagen, ist der Sonnenuntergang leider verpufft. Schade.

Camino del Norte - Tag 23