Unterwegs rings um Santiago de Compostela
Mit dem Bus von Santiago nach A Coruña

Tag 35 (Ostersonntag, 9.4.2023) mit dem Bus von Santiago nach A Coruña

Die Nacht fing zwar spät an, aber ich kann trotzdem morgens nicht viel länger schlafen als üblich. Halb acht (da ist es hier noch stockfinster) habe ich angefangen zu packen, um acht bin ich los und habe gleich in der nächsten Bar zwecks Frühstück Halt gemacht - da wo es die leckeren belegten Brötchen (Kochschinken mit Ei und Tomate oder Schinken mit Tortilla) zu 1,50 € gibt. Dann bin ich in die Altstadt geschlendert, wo um 10.30 Uhr am Franziskaner­kloster eine Prozession losgehen sollte. Ich war viel zu früh da, aber das war nicht schlimm, denn es war interessant zu sehen, was da so im Vorfeld abläuft. Da bekommt Jesus noch mit dem Akkuschrauber einen Heiligenschein montiert, die römischen Soldaten verschwinden nochmal in der Taverne, ein Kapuzenmann versucht mit Mütze aufs Klo zu kommen, eine namentlich nicht bekannte Heilige aus den Zug raucht noch schnell ein Zigarettchen, ebenso ein Hornist, um seine Atemwege in Gang zu bringen. Ein Engelchen bekommt einen verlorenen Flügel wieder angeheftet. Ein paar fromme Kinder nutzen das alte Pflaster für ein Hopse-Spiel und andere probieren, ob man mit den langen Kerzen auch einen Schwertkampf ausrichten kann. Der Zeremonienmeister, der gestern bei der Messe den Oberministranten gegeben und das Weihrauchfass bedient hat (die übliche Handvariante, nicht das zentner­schwere Ding an der Decke) versuchte, die einzelnen Gruppen in die richtige Position zu bringen. Dieses Mal kamen nur zwei „Pasos“ zum Einsatz. So nennen sich die Konstruktio­nen, auf denen Szenen vom Leidensweg Jesu oder Marienstatuen montiert sind, die gerollt oder getragen werden. Wir würden vielleicht „mobiles Postament“ dazu sagen.

Pünktlich halb elf setzte sich der Prozessionszug in Bewegung, eine Stunde später war er auf dem Praza da Quintana neben der Kathedrale, wo alle Gruppen im Halbkreis Aufstellung nahmen und mehr oder weniger der Ansprache eines Geistlichen lauschten, und sei es mit der Zigarette in der Hand, wie das hier bei den Bläsern üblich ist. Einige Musikstücke klangen auch, als ob da ins Horn gehustet statt geblasen wird. Als Abschluss der Zeremonie wurden die Pasos mit Jesus und Maria aufeinander zu bewegt und die von kräftigen Män­nern und Frauen getragene Marienfigur zum Hüpfen gebracht, was wohl Marias Freude über die Auferstehung ihres Sohnes zum Ausdruck bringen sollte. Das war nett anzusehen, aber in der Bibel steht das nicht. Dann wurde ein Engelchen zu Maria hochgehoben, um ihr Trau­erkleid zu entfernen. Zum Vorschein kam ein schöner, mit Gold bestickter hellblauer Mantel.

Inzwischen hatte (um 12 Uhr) der Festgottesdienst in der Kathedrale begonnen und immer noch stand vor der Tür eine Schlange, die sich über zwei Plätze und eine Gasse erstreckte. Ich hatte keine Lust, mich da einzureihen. Ich war ja in den letzten Tagen mehrmals in der Kathedrale und das Weihrauchfass (wegen dem bestimmt dreiviertel der Leute anstanden) habe ich im vorigen Jahr in Aktion gesehen. Ich habe mich stattdessen in der Rua Nova in eine Bar gesetzt, vor deren Tür der heimwärts ziehende Prozessionszug vorbei kommen musste. Und er tat es. Man soll ja für sowas keine Reklame machen, aber da kann man am Tresen sitzen und zuschauen, wie Jesus und Maria vorbeiziehen!

Als der Zug vorbei war, bin ich losgeschlendert und neben der Kathedrale ins Pilgermuseum, das ich mir schon immer mal anschauen wollte. Das ist sonntags umsonst und für Rentner ohnehin frei. Der Herr am Ticketschalter sagte mir aber, dass das Museum in 20 Minuten schließt. Ein guter Grund, mal auf die Uhr zu schauen: viertel drei. Da war doch was … Ja, in der Nacht habe ich doch noch für viertel vier ein Busticket nach A Coruña gekauft. In einer Stunde geht der Bus! Also raus aus dem Museum, in die Herberge (20 Minuten), Rucksack greifen und ab zum Busbahnhof (35 Minuten). Bleiben 5 Minuten übrig. Was mache ich nur mit der vielen Zeit?!

Also, ich habe den Bus erreicht. Der Flixbus kam aus Porto und war halb voll. Einige stiegen aus und etwa gleich viele ein. Einige der Aus- und Einsteigenden hatten einen Rucksack mit Jakobsmuschel dabei. In A Coruña angekommen, musste mich der Busfahrer zum Aussteigen auffordern, denn ich glaubte nicht, schon am Ziel zu sein. Die Fahrt verging also schnell und war nicht übermäßig spektakulär. Es ging größtenteils über die Autobahn. Der Busfahrer hat auch an der Mautstelle ganz brav angehalten und ist erst wieder losgefahren, als die Schranke oben war. Im vorigen Jahr ist an der gleichen Stelle der Busfahrer fast ungebremst auf die Schranke zu gedonnert - im festen Vertrauen, dass die elektronische Ticketkontrolle funktioniert und die Schranke nicht klemmt …

Ich habe mir in A Coruña für eine Nacht ein Zimmer gebucht (Herbergen gibt es hier nicht) und will die vor dem Abflug verbleibenden drei Tage nutzen, um die von A Coruña nach Santiago führende Variante des Camino Inglés zu laufen. Die andere Variante, von Ferrol nach Santiago, bin ich im vorigen Jahr gelaufen, als nach dem Camino Portugues noch ein paar Tage übrig waren. Die Variante ab A Coruña ist etwa 75 km lang, also gut zum Abtrainieren geeignet. Der Pilgerführer teilt sie in vier Etappen, aber das sollte gut in dreien zu schaffen sein. Etwa 5 km habe ich auch schon geschafft. Auf dem Weg vom Busbahnhof zur Pension bin ich wiederholt an Jakobsweg-Schildern vorbeigekommen und habe ich gesehen, dass die Pension direkt am Weg liegt, aber ein Stück außerhalb der Stadt.

Hier morgen anzufangen, wäre Schummel. Also habe ich nur meine Sachen abgestellt und mich in die Altstadt begeben, wo der Weg beginnt. Ich wollte mich eh noch etwas in der Stadt umsehen. Der Weg dorthin war aber ätzend lang und auf der ersten Hälfte nichts fürs Auge. Ich habe versucht, von der Pension zum Wasser zu kommen, was aber an diversen Sack­gassen scheiterte und mich fast mein neues Basecap gekostet hätte, weil ich versehentlich auf dem Gelände einer psychiatrischen Anstalt gelandet bin und einer der Bewohner Gefallen an ihr gefunden hat. Ein Betreuer hat zwar verhindert, dass der Interessent sie mir vom Kopf reißt, mich aber zugleich vom Gelände verjagt - ein ordentliches Stück zurück, natürlich bergauf. Irgendwann bin ich dann doch auf der Straße gelandet, die an den verschiedenen Häfen entlang führt. Da gab es wenigstens was zu sehen. Und wenn man auf der anderen Straßenseite etwas genauer hinschaut, findet man zwischen den wenig attraktiven, aneinander gereihten 8- bis 10-Geschossern das eine oder andere schöne alte Haus, geschätzt 120…150 Jahre alt, meist an den Straßenecken.

In der Altstadt habe ich auch schnell die Stelle gefunden, an der laut Pilgerführer der Weg losgeht: den Praza de Constitution, der auf der einen Seite von einem Regierungs- oder städtischen Gebäude mit Kanonen davor und auf der anderen Seite von einem Park be­grenzt wird. Aber kein Touristen-Büro oder Ähnliches, das bezeugen könnte, dass ich hier war. Was macht da der geübte Pilger? Er geht in die nächstgelegene Kneipe und lässt sich dort einen Stempel in den Pilgerausweis drücken. Das hat mich zwar 2,40 € für ein Bier ge­kostet, aber auch zwei kleine Käsestullen eingebracht. Im Park habe ich dann auch einen der in Galicien üblichen Pilgerweg-Markierungssteine gefunden - mit „72,804“ als Entfernungs­angabe und einem Pfeil. Das wird wohl der Anfang sein.

Gleich daneben eine kleine mittelalterliche Kirche, die (welch Wunder) offen und beleuchtet war. Drinnen sitzen ein paar Leute und da stets neue hinzukommen, dünkt es mich, dass da gleich, um 20 Uhr, ein Gottesdienst beginnt. Ich habe schnell meine Runde durch die Kirche gedreht und alle Jakobus- und Rochus-Figuren fotografiert und wollte mich davonstehlen. Da kommt mir aber der Gedanke, doch mal in der Sakristei nach einem Stempel zu fragen. Und siehe da, der Pfarrer war schon da und dazu ein Helfer, der etwas Deutsch konnte und meinen Wunsch rübergebracht hat. Der Pfarrer war zwar etwas irritiert, dass er seinen Stem­pel unter den Kneipenstempel setzen sollte, hat aber Erbarmen gehabt und meinen Ausweis sogar durch seine Unterschrift geadelt. Allerdings musste ich in seinem Beisein alle im Pilgerpass gefragten persönlichen Angaben inklusive Ausweisnummer eintragen. Ordnung muss sein, auch wenn die immerhin etwa 40 Leute in der Kirche 3 Minuten nach acht unruhig werden. Draußen habe ich dann gelesen, dass es sich um eine Sankt-Jakobus- (Santiago-) Kirche handelt. Also noch besser kann kein Nachweis sein: Am Startpunkt des Weges in einer Sankt-Jakobus-Kirche vom Pfarrer persönlich gestempelt und unter­schrieben!

Auf dem Rückweg immer entlang des Jakobsweges, der etwa 5,5 km lang war (obwohl die Pension lt. Booking.com nur 3,7 km von Zentrum entfernt ist), habe ich noch viele schöne Häuser und Plätze entdeckt. Es hätte sich also durchaus gelohnt, der Stadt ein paar Stunden mehr zu widmen. Auf dem Weg fand ich sogar (am Sonntag, abends um viertel zehn) noch zwei geöffnete Lebensmittelläden, in denen ich mich fürs Abendbrot und Frühstück eindecken konnte. Der Kneipenbesuch am Abend konnte also ausfallen.

Rings um Santiago de Compostela - Tag 35