Unterwegs rings um Santiago de Compostela
Von A Coruña nach Hospital de Bruma

Tag 36 (Montag, 10.4.2023) von A Coruña nach Hospital de Bruma

In Deutschland ist heute (Ostermontag) noch Feiertag, in Spanien wird schon wieder gearbeitet. Ich habe lange geschlafen und dann die Vorzüge eines Pensionszimmers ge­nossen. Zwar war das mit Gemeinschaftsbad, aber von den anderen drei Zimmern der Etage war wohl keins belegt, zumindest habe ich niemand gehört oder gesehen. Da konnte ich nach Herzenslust duschen. Ich habe mir dann mit dem Wasserkocher Kaffee gemacht und die am Abend zuvor erstandenen Sandwiches gegessen. Danach habe ich die abends gewaschenen, aber offenbar nicht richtig ausgewrungenen Socken, Schlüppis und ein T-Shirt halbwegs dekorativ und runterfallsicher an meinem Rucksack montiert, damit diese im Laufwind trocknen. Dann ging es los - inzwischen war es nach neun.

Nach 100 Metern gab es schon die erste Laufwind-Unterbrechung, denn eine Bar am Wegesrand lockte mit einem richtigen Kaffee. Der weitere Weg führte durch mehr oder weniger schöne Stadtviertel und Vororte von A Coruña. Da es ringsum nicht viel zu foto­grafieren gab und ich sowieso besser auf den Weg aufpassen soll, war mein Blick vorrangig auf den Boden gerichtet und ich konnte so meine mitunter Kopfschütteln erregende Ange­wohnheit, Kanaldeckel zu fotografieren, voll ausleben. Ich liebe ja die Gully- oder Kanal­deckel, auf denen der Ortsname steht. Hier in Spanien, wo einige Regionen mehrsprachig sind, stellen die Kanaldeckel regelrechte Geschichtszeugnisse dar, denn die sind durch­gängig spanisch beschriftet, während die Ortsschilder den Namen in der Regionalsprachen, hier also auf Galicisch ausweisen. Am Ortseingang steht „A Coruña“, auf den Kanaldeckeln hingegen „La Coruña“. Das ist mir im vorigen Jahr schon in anderen Orten aufgefallen. Und längst nicht alle Kanaldeckel mit spanischer Beschriftung stammen aus der Franco-Zeit, wo nur Spanisch zulässig war. Straßen- und Ortsschilder, die mehrsprachig sind, habe ich hier nicht gesehen, aber in A Coruña sowohl spanische, als auch galicische Wegweiser zur glei­chen Einrichtung, ohne dass da ein System zu erkennen wäre. An der einen Ecke wird auf die „Garda Civil“ (Galicisch) verwiesen, an der nächsten Ecke zur „Guardia Civil“ (Spanisch).

In einem der Vororte, in O Burgo, stand die schöne alte Kirche offen und ich bin rein. Da fand gerade ein Gottesdienst mit etwa 25 Besuchern statt. Die Predigt war schon vorbei, da habe ich mich für den Rest des Gottesdienstes mit meinem etwas fragwürdig ausschauenden Rucksack in eine Ecke gezwängt und zugeschaut. Hier habe ich zum ersten Mal auf der diesjährigen Reise erlebt, dass von den Gottesdienstbesuchern gesungen wurde. Aber das hängt wohl immer davon ab, ob der Pfarrer singen kann oder nicht. Der hier konnte singen. Nach dem Gottesdienst bin ich in die Sakristei, um mir einen Stempel in den Pilgerpass drücken zu lassen, was der Pfarrer mit einem „Buen Camino“ gern tat. Es war übrigens wieder eine Santiago-, also eine Sankt-Jakobus-Kirche.

Auf dem Camino del Norte war ich mit einem in Irun erstandenen, speziell für diesen Weg gedachten Pilgerpass unterwegs. Da war nicht viel Platz und ich habe mir in der Regel nur in den Herbergen einen Stempel geben lassen, damit ich damit auskomme. Für den Camino Inglés habe ich keinen speziellen Pilgerpass auftreiben können und bin deshalb mit dem standardmäßigen, in Santiago oder über Pilgervereine erhältlichen „Credencial del Peregrino“ der Kathedrale von Santiago losgezogen. Der hat endlos viele Seiten, obwohl für meine Drei-Tage-Tour eine Seite ausreichen würde. Also wird darin gestempelt, was das Zeug hält, abwechselnd Kirche, Kneipe und Herberge. Leider oder zum Glück (Ansichts­sache!) haben mehr Kneipen als Kirchen geöffnet.

Eine Weile ging es dann, allerdings in einigen Abstand, am Flughafen von A Coruña entlang. Auf dem landeten und starteten laufend kleine Flugzeuge und Hubschrauber. Bei den größeren Fliegern, die vorrangig nach Madrid, aber auch nach London oder Barcelona fliegen, war leider gerade Pause. Wie in Santiago hat man hier zur Verlängerung der Start-/Landebahn im hügeligen Gelände ordentlich Erde aufgeschüttet. Gefallen hat mir sogar aus der Ferne, dass hier jeder Ankommende von einem wie eine Bierbüchse schwarz/rot gestrichenem Tower mit der Aufschrift „Estrella Galicia“ begrüßt wird. Am BER haben wir keinen „Kindl“- oder „Schultheiß“-Tower.

Der weitere Weg war nicht sonderlich spektakulär. Aber der Blick auf die Dörfer ringsum war schön. Und je höher man kam, desto weiter konnte man schauen und mitunter sogar das Meer sehen. Das war die Entschädigung dafür, dass es von Serandos (ca. 100 m) bis nach As Travesas (ca. 500 m) permanent bergauf ging. Zwischendurch war(en) mal „Bordelle“ ausgeschildert. Da bin ich mit geschlossenen Augen vorbei gelaufen. An einer Kreuzung stieß ich auf einen französischen Pilger, der mit einem Esel unterwegs ist. Der wollte eigentlich nach Ferrol, hat aber auf dem Berg den Abzweig verpasst. Unten angekommen hatte er keine Lust, den Berg wieder hoch zu laufen, und deshalb einen alternativen Weg nach Betanzos gesucht. Ein hilfsbereiter Spanier hat ihm den auch zeigen können. Den Pilger mit dem Esel habe ich schon in Santiago gesehen, aber nicht richtig fotografieren können, weil ich mal wieder einen fettigen Fingerabdruck auf der Linse hatte.

Bis As Travesas habe ich ansonsten nur zwei Pilger getroffen, einen, der in meiner Richtung unterwegs war, und einen, der entgegen kam. Dafür aber reichlich Hunde hinter den Gartenzäunen und immer mal Rinder, darunter auch welche mit riesigen Hörnern, die gut geeignet sind, sich am ganzen Körper zu kratzen, wie mir ein Bulle vorgeführt hat. In As Travesas treffen die beiden Zweige des Camino Inglés aufeinander. Von hier geht es zusammen nach Santiago. Da ich im vorigen Jahr den Camino Inglés von Ferrol nach Santiago gelaufen bin, kenne ich den Rest des Weges, was längst nicht heißt, dass ich mich an alles erinnern kann. An die Kneipe in As Travesas konnte ich mich zum Beispiel nicht erinnern. An der bin ich vermutlich im vorigen Jahr vorbei geeilt, weil ich „Bettbewerber“ vor mir wahrgenommen hatte, die ich noch schnell überholen wollte. Damals ging es aber dorthin auch nicht den Berg hoch. Als ich heute dort mit trockener Zunge ankam, glaubte die Wirtin tatsächlich, meinen Durst mit einem Bier im Kölsch-Glas befriedigen zu können! Da musste noch ein zweites her, zumal es dazu immer ein Salami-Schnittchen gab.

Bis Hospital de Bruma, meinem heutigen Ziel, waren es dann nur noch zwei Kilometer. Kurz vor sieben war ich da. Als Strafe für das späte Ankommen waren 15 der 22 Betten belegt, also alle Untergeschosse der Doppelstockbetten vergeben. Bei den Obergeschossen war gar nicht auf Anhieb zu erkennen, welche noch frei sind, da überall von den Untermietern was abgestellt war und über der „Reeling“ Sachen hingen. Ich muss gestehen, dass ich mir ein Bett gesucht habe, wo keine Männersocken, sondern Büstenhalter am Geländer hingen. Aber sollte ich noch Bekanntschaft mit der dazugehörigen Untermieterin machen, wird die Freundschaft nicht lange halten. Denn wie ein Test ergab, gerät beim Auf- bzw. Absteigen das ganze Bett ins Schwanken. Die Dame wird also ein-, zweimal in der Nacht von meiner schwachen Blase aus dem Schlaf gerissen werden.

Gegen acht bin vorhin ich in die schräg gegenüber befindliche Gaststätte in der Absicht, dort meinen angefangenen Bericht zu beenden. In der Gaststätte saßen aber 3…4 Gruppen spanischer und italienischer junger Leute, insgesamt etwa zwanzig Personen (also auch welche aus der zweiten Herberge im Ort), was einen unerträglichen Lärm ergab. Ich habe das leider schon bestellte Bier heruntergestürzt und bin dann mit einer Büchse „außer Haus“ wieder rüber in die Herberge, um dort bei halbwegs Ruhe diesen Bericht zu schreiben. Inzwischen ist es um zehn. Die Kneipe hat gerade zugemacht und auch die Herbergstür ist verschlossen. Noch nicht verschlossen ist der Mund der nun hier befindlichen Südeuropäer. Ich muss mich also nicht mit dem Schlafengehen beeilen. Apropos „verschlossen“: Ich habe der Hospitalera erzählt, dass ich im vorigen Jahr schon mal hier war und morgens keiner raus kam, weil die Tür verschlossen war. Ich bin damals durchs Fenster getürmt, andere haben das erst nach langem Warten gemacht. Sie sagte mir, dass die Tür morgens immer verschlossen ist und man den Notausgang in einer Ecke des Innenhofes benutzen muss. Ich bin morgen früh gespannt, wie viele das wissen.

Rings um Santiago de Compostela - Tag 36