Unterwegs rings um Santiago de Compostela
Von Hospital de Bruma nach Sigüeiro

Tag 37 (Dienstag, 11.4.2023) von Hospital de Bruma nach Sigüeiro

Ich habe ganz gut geschlafen und nachts nur einmal beim Abstieg das Bett zum Schwanken gebracht. Das Mädel unter mir, eine junge Engländerin, die ich erst heute früh kennengelernt habe, hat aber abgewunken, als ich mich dafür entschuldigt habe. Sie hätte ja auch das Bett mit mir tauschen können. Sie war ein Stück größer als ich und wäre vielleicht ohne Leiter ins Ober­deck gekommen. Die Herberge war wieder eine, wie zuletzt alle kommunalen Herbergen, die zwar Herd und Mikrowelle zu bieten hat, aber weder Töpfe noch Geschirr und Besteck. Die Mikrowelle mag man ja so vielleicht nutzen können, z. B. für eine Pizza, aber den Herd? Wer einen Topf mit sich rumschleppt, hat vermutlich auch einen Campingkocher mit und braucht keinen Herd.

Als ich um acht in der Spur war, war es zwar schon halbwegs hell, aber sehr nebelig und damit auch sehr feucht. Im Nachbarort muss ein Kunstschmied seine Werkstatt haben, denn da standen alle möglichen kuriosen Dinge rum. Unter anderem ein Dinosaurier, der im Nebel recht gruselig aussah. Im vorigen Jahr, als ich um 7 Uhr die Herberge durchs Fenster ver­lassen habe, war es noch finster, als ich hier vorbei kam und da konnte man sich schon erschrecken, wenn man plötzlich einen Dino neben sich hat. Noch einen Ort weiter ist eine kleine Bar, in der vermutlich alle Pilger eingekehrt sind, um einen Kaffee zu trinken oder ein ganzes Frühstück zu nehmen. Ich habe mich mit einem Kaffee und einem Stück Tortilla begnügt.

Der weitere Weg führte teils entlang wenig befahrener Landstraßen, teils auf Hohlwegen durch den saftig grünen Wald. Die Bäume sind oft bis weit nach oben bemoost und auf der Erde teilen sich Moos und Farn den Boden. So wie das aussieht, müsste es hier eigentlich viel mehr regnen. Im vorigen Jahr habe ich das erlebt. Da ist man an manchen Tagen gar nicht aus dem Regencape rausgekommen. In diesem Jahr habe ich zum Glück kaum was am Regen abbekommen und gestern bin ich auch erst kurz vor dem Ziel nass geworden.

Der Weg führte heute an der 8-Euro-Herberge „Rectoral de Poulo“ in O Outeiro (Ordes) vorbei. Die Tür stand offen und ich habe mal reingeschaut: ein gut hergerichtetes Gemäuer, sogar mit Backofen und Kamin, das sehr modern ausgestattet ist. Diese Herberge ist bestimmt nicht so voll gewesen wie die in Bruma. Im Wiederholungsfalle würde ich in Sergude und Ordes übernachten, statt in Bruma und Sigüeiro. Und ich würde mir ab Baxoia einen anderen Weg suchen, denn ab da geht es bis Sigüeiro, wo ich für diese Nacht Quartiere genommen habe, nur entlang der Autobahn und vorbei an einem (allerdings sehr ordentlichen) Gewerbegebiet. Sigüeiro kannte ich schon vom Vorjahr: hinter dem Gewerbe­gebiet geht es durch einen kleinen Park und vorbei an diversen Sport- und Spielplätzen. Das Stadtzentrum selbst ist eigentlich nur eine große Kreuzung mit vielen Kneipen drum rum und einigen Geschäften in den Seitenstraßen. Nichts wirklich Sehenswertes.

Auf der öden Strecke entlang der Autobahn habe ich schon mal auf dem Smartphone nach einer geeigneten Herberge gesucht. Es gibt hier einige 15-Euro-Herbergen. In einer davon war ich voriges Jahr und fand die ganz hervorragend. Aber dann bin ich auf eine gestoßen, die keine gute Bewertung hat, weil sie ein bisschen altmodisch aussieht. Aber die hat mich mit drei Vorzügen gereizt: erstens Einzel- statt Doppelstockbetten, zweitens eine gut ausgestattete Küche und drittens kostenlose Waschmaschinennutzung. Wäsche waschen ist nämlich schon lange nötig, seit Tagen suche ich mir schon immer aus dem prall gefüllten Waschbeutel die Socken, Shirts etc. raus, die am wenigsten riechen und noch einen Tag getragen werden können. Und meine Hose sieht auch schon wieder aus wie das Unterteil eines Tarnanzugs. Also habe ich in der Herberge „Quinta Andaina“ eingecheckt, die nur eine Querstraße vom Jakobsweg entfernt liegt. Ein Handicap war hier, dass angeblich Einlass nur bis 15.30 Uhr ist. Ich habe deshalb schon mal online reserviert und mitgeteilt, dass ich auch erst 15.30 Uhr da sein werde.

Mit meinem heute mal eiligen Schritt war ich schon um 15.00 Uhr im Ort, also noch genug Zeit für ein Sturzbier, das ich mir kurz vor der Herberge geholt habe. Damit habe ich mich auf der Terrasse zu zwei sympathischen Pilgern gesellt: Marc und Chris aus Irland, die auch noch ihre Rucksäcke dabei hatten. Kurz darauf kam noch Lorraine aus Stuttgart dazu, mit der ich am Morgen ein paar Meter gelaufen bin, bevor sie davongeeilt ist. Sie hatte sich mit „Loreen“ vorgestellt und auf meine Frage, ob das mit zwei „e“ geschrieben wird, meinte sie nur, dass das ganz anders geschrieben wird. Als ich sagte, dass ich nur noch eine „Quiche Lorraine“ kenne, erwiderte sie, dass sie genauso geschrieben wird. Lorraine ist also nicht nur die französische Version von Lothringen, sondern auch ein weiblicher Vorname. In den paar Minuten, die wir miteinander plaudern konnten, erfuhr ich, dass sowohl Marc, als auch Lorraine morgen bzw. übermorgen Geburtstag haben, er wird 53, sie 30. Ich hab schnell nach­geschaut und verkündet, dass gestern 1301 Pilger in Santiago angekommen sind und dass es deshalb wohl eine etwas größere Geburtstagsfeier werden wird. Na, vielleicht treffen wir uns.

Um viertel vier war ich schon an der Herberge, die näher lag als erwartet, und habe die dort angeschlagene Telefonnummer angerufen. Zwei Minuten später kam ein junger Mann mit ei­nem Jungen (Daniel) an der Hand, schloss auf und zeigte mir alles. Ich bin heute der einzige Gast, gestern war es angeblich voll. Ich konnte mir also Zimmer und Bett auswählen und habe einen Raum nach hinten raus gewählt, da vorn auf der Straße ziemlich viel Verkehr ist.

Ein vierter Vorteil der gewählten Herberge zeigte sich erst vor Ort: Eine Badewanne! Allein in der Herberge und eine Wanne, das ergibt ein langes Badevergnügen. Zwar war auch hier der Stöpsel abmontiert, um die Gäste zum Duschen statt Baden zu animieren, aber da hat der Wirt die Rechnung ohne einen improvisationsgeübten Ossi gemacht. Unter dem Kram in den vielen Küchenschubfächern fand sich nämlich eine scheibenförmige Gummidichtung irgendeines Küchengerätes, die genau auf den Abfluss passt und dort vom Wasserdruck gehalten wird. Dem Badevergnügen stand also nichts mehr im Wege.

Nun wurde aber der zeitliche Ablauf zum Problem, zumal ich in der Herberge gelesen habe, dass in der hiesigen St.-Andreas-Kirche um 19 Uhr Gottesdienst ist, den ich gern besuchen würde. Und dann war ja noch diese gut ausgestattete Küche, in der ich sogar backen könnte, wenn ich wüsste, wie das geht und einen Abnehmer für den Kuchen hätte. Also doch lieber kochen. Meine Kochkünste habe ich gleich an einer Knorr-Nudelsuppe aus der Tüte aus­probieren wollen. Also Topf gesucht, Wasser rein, auf den Herd gestellt, angedreht und gewundert, dass nichts passiert. Wieder so ein neumodischer Induktionsherd, auf dem keine Kochstellen aufgemalt sind und auch nichts rot wird. Bei keinem der vier vorn befindlichen Knöpfe. Also habe ich das Gerät genauer untersucht und schließlich festgestellt, dass mein Topf auf einer Glasabdeckung von vier Gaskochstellen steht. Da kann ja nichts warm werden. Als es denn beim Entzünden eines Brenners ziemlich puffte, weil beim Probieren doch schon etwas Gas entströmt war, hatte ich die zweite Erkenntnis, dass hier das Gas nicht wie bei uns mit einem üblen Geruchsstoff versehen ist, was ich nunmehr für ziemlich gefährlich halte.

Nach dem Süppchen bin ich los zum Einkaufen. Nicht weit entfernt sind zwei Supermärkte nebeneinander. Ein „Dia“ mit gutem Angebot und ein anderer mit guten Preisen. Aus beiden habe ich zusammengerafft, was mir als Abendbrot und Frühstück schmecken sollte. Früh­stück ist hier zwar im Preis enthalten, darunter versteht man aber eine Ecke auf den Küchen­tisch, wo löslicher Kaffee und viele süße Küchlein stehen. Den ersten Teil des Einkaufs habe ich gleich verzehrt: eine Schale Salat mit Dressing, Fleisch- und Käse­stückchen sowie Croûtons. Ich habe nämlich mitbekommen, das sowas durchaus essbar ist, wenn man zum Beispiel die eingelegten Paprikastreifen unterrührt, die ich so liebe.

Dann bin ich in die St.-Andreas-Kirche, die ich auf der anderen Seite des Rio Tambre aus­findig gemacht habe. Eine hübsche kleine Kirche - erst hundert Jahre alt, aber in Anlehnung an die hier übliche traditionelle Bauart ausgeführt. Innen schlicht, aber sehens­wert. Hier ist sonntags um 12 Uhr Gottesdienst, sonst außer Montag jeden Tag um 19 Uhr. Im Sommer steht die Kirche auch immer ein paar Stunden offen. Der junge Pfarrer war von der schnellen Sorte und nach 24 Minuten fertig, was dem zweiten Teil meines Abendbrotes zugutekam. Es gab Rührei mit Schinken, Chorizo-Würfeln und ordentlich Zwiebel. Von allen Zutaten jeweils die Hälfte, damit es noch fürs Frühstück reicht. Lecker.

Und dann folgte die mehrstündige Badeorgie in randvoller Wanne. Die Wanne ist kürzer, aber tiefer als bei uns. Das macht sich sehr gut, zumal das Wasser wegen der geringeren Oberfläche länger warm bleibt. Ein Stöpsel oder ein brauchbarer, leichterer Ersatz muss also beim nächsten Mal unbedingt ins Gepäck.

Rings um Santiago de Compostela - Tag 37