Unterwegs von Faro nach Huelva und auf dem Camino del Sur von Huelva nach Zafra
Tag 2 (Sa, 1.11.2025) Von Tavira nach Vila Real de S. Antonio (29,5 km)
Ich habe in der Jugendherberge von Tavira sehr gut geschlafen, obwohl die Matratze durch­gelegen war und das Gitterrost gequietscht hat. Die gut 36 km gleich am ersten Tag haben doch ziemlich geschlaucht. Mein einziger Mitbewohner, ein etwas komischer Portugiese, ist abends nochmal ein Bier trinken gegangen, als ich ins Bett gekrochen bin. Erfreulicherweise habe ich ihn nicht gehört, als er zurückgekommen ist.
Ich hatte mich am Abend gefreut, als ich im Schrank eine bezogene Bettdecke gefunden habe und deswegen meinen Schlafsack nicht ausrollen musste. Nachts ist mir dann ziemlich warm darunter geworden, aber ich war zu faul, sie gegen ein dünnes Laken einzu-tauschen. Hier liegen ja kurioserweise Tages- und Nachttemperaturen gar nicht weit auseinander. Gestern waren es 22/18 Grad, heute sollen es 21/17 Grad werden. Fürs Laufen ist das gut, weil man morgens so starten kann, wie man tagsüber gekleidet sein will. Das lästige Ein- und Auspacken irgendwelcher warmen Sachen im Laufe des Tages erübrigt sich damit.
Ich war wie üblich um sechs wach, musste nun aber noch die Zeit bis 8.30 Uhr überbrücken, denn erst dann gab es Frühstück. Ich habe zunächst meinen Tagesbericht von gestern vervollständigt und zusam-men mit Bildern verschickt. Dann habe ich gepackt und mich auf einen kleinen Stadtbummel begeben. Dabei habe ich in den kleinen Gassen hübsche Häuser und verfallene Buden dicht nebeneinander entdeckt. Mittendrin Reste einer Festung, welche jetzt die Gärten der ringsum stehenden Häuser zieren und nicht zugänglich sind, abgesehen von einem Stück Stadtmauer in einer noch verschlossenen Parkanlage. Verschlossen waren auch noch die beiden Kirchen in der historischen Altstadt, die Marienkirche und die Santiago­kirche, an welcher offiziell die Via Portugal Nascente beginnt, wie Muschel und Pfeil an der Kirchentür kundtun.
Neben der Marienkirche hat man übrigens einen ehemaligen Wasserturm zu einer Camera Obscura umgebaut. Man kann mit einem Fahrstuhl bis in den Wassertank fahren, wo das von einer 360-Grad-Kamera auf dem Dach aufgenommene Bild auf einen großen runden Tisch projiziert und per Audioguide kommentiert wird. Der Vorteil gegenüber einer einfachen Aussichtsplattform, auf der man selbst 360 Grad rundum blicken kann, erschließt sich mir nicht. Aber vielleicht gibt es Leute, die schon immer mal einen Wassertank von innen sehen wollten. Hoffentlich, denn sonst ist die Investition von über 3,6 Millionen Euro in den Sand gesetzt.
Als ich um halb neun zurück in die Herberge kam, war das Frühstücks-buffet schon eröffnet und ich recht erstaunt, weil ich es nicht so üppig erwartet hatte. Es gab Brötchen und Toast, Butter mit und ohne Salz, Käse, Wurst, Gurke und Tomate, O-Saft, Joghurt, Bananen und Orangen und natürlich Marmeladen, Müsli usw. Außerdem diverse Kaffee-Sorten aus dem Automaten. Und das alles ist im Preis enthalten und ohne Limitierung. Ich hätte es mir also sparen können, Wurst und Käse als Marmeladenersatz zu kaufen. Vielmehr hätte ich mir hier Brötchen für unterwegs schmieren und belegen können, so wie das die beiden Englände­rinnen am Nachbartisch gemacht haben.
An einem anderen Tisch saßen vier Frauen, die sich auch auf Englisch unterhalten haben. Als da das Wort „Camino“ fiel, habe ich die Ohren gespitzt. Eine Spanierin unter den Vieren startet hier auf den Camino nach Santiago und eine andere hat ihr vom Camino Francés erzählt. Als ich mitbekam, dass zwei der Frauen Deutsche sind, habe ich mich kurz mit einer Tasse Kaffee dazu gesetzt und erfahren, dass eine davon mit dem Fahrrad an der Küste unterwegs ist und die andere, die den Francés gelaufen ist, hier Urlaub macht. Die Spanierin, die mit dem Zelt unterwegs ist, hat stolz ihre Routenplanung gezeigt. Das sind bestimmt auch 1000 km wie von Sevilla. Die ist nach mir gestattet und hat mich nach einer Pause mal fast eingeholt, war dann aber verschwunden. Vermutlich hat sie auf der Bank, auf der ich gesessen hatte, Pause gemacht.
Kaum war ich aus dem Haus getreten, begann es zu regnen und wollte auch nicht aufhören, während ich mich mal kurz untergestellt habe. Aber mein Zauber-Poncho hat sich wieder bewährt. Sobald ich den angezogen hatte, hörte der Regen auf. Prima. Leider ist das aber ein Modell, was sich nicht wieder von allein zusammenfaltet …
Der Weg führte über den Rio Giláo und dann lange Zeit entlang von Salinen. Hier waren wieder einige Radfahrer unterwegs, aber auch Leute, die einen Spaziergang machten. Schließlich war Feiertag und damit für die meisten arbeitsfrei. Es war aber übrigens nicht so, dass alle Geschäfte geschlossen waren. In Tavira waren morgens nicht nur kleine Lebens­mittelläden, sondern auch der SPAR-Supermarkt offen und selbst im großen Shopping-Center am Stadtrand waren hinter den Scheiben Leute zu sehen. Auch unterwegs war an den Geschäften nicht zu merken, dass Feiertag ist. Am Ziel habe ich z. B. abends in einem großen Continente-Markt eingekauft.
Als Reaktion auf meinen Bericht des Vortages habe ich von meiner krimikundigen Frau erfahren, dass ich durch die Gegend laufe, in der Kommissar Lost aus Hamburg ermittelt. Jetzt dämmerte es bei mir. Bei uns im Haus stößt man überall auf Bücher mit dem Titel „Lost in Fuseta“. (Das klingt wie der Filmtitel „Lost In Translation“.) Dass „Lost“ ein Kommissar ist, hatte ich mir gedacht, aber dass „Fuseta“ ein Ort an meiner Strecke ist, habe ich nicht geschnallt. Sonst hätte ich bestimmt mal ein Buch gelesen und mich in Fuseta gründlicher umgesehen. Nun habe ich mich allerdings auch sehr kurzfristig zu dieser Tour entschlossen und erst ein paar Tage vorher mit der Planung begonnen. Wenn ich zurück bin, werde ich mich ganz sicher wie die halbe Familie in die Krimis vertiefen, in denen wohl alle größeren Orte dieses Algarve-Abschnittes vorkommen. Danach muss ich dann aber nochmal hier her, um mir die Tatorte anzuschauen.
In meiner Unkenntnis hatte ich es ja in Fuseta unterlassen, mal runter zum Strand oder hoch zur Kirche zu laufen. Jetzt erklärt sich auch, warum ich gestern in Fuseta auf dem Praça da República beim Genuss eines kühlen „Cerveja preta“ von so vielen Deutschen umgeben war. Von denen waren sicher einige auf den Spuren ihres Lieblings-kommissars. In der Bretagne trifft man ja auch immer wieder Leute auf den Spuren von Kommissar Dupin.
Hinter Cabanas de Tavira führte der Weg auf kaum befahrenen Straßen vorbei an Plantagen, ein paar schönen Anwesen und einem noblen, mit Palmen gesäumten Golfplatz. Da sich die Wegweiser nach Calcela Velha häuften, habe ich den Abstecher dorthin gemacht, ohne zu wissen, was mich da erwartet. Das ist ein recht hoch über dem Ufer liegendes, hübsches, kleines Dörfchen mit einer Festung und einer (offenen!) Kirche an exponierter Stelle. Alle Häuser sind weiß gestrichen, aber die Hauskanten sowie Fenster- und Türrahmen sind farblich abgesetzt. Der Ort ist auf den Infotafeln als Museumsdorf deklariert und macht diesem Begriff alle Ehre.
Da sich hier viele Touristen tummeln, gibt es natürlich auch mehrere Gaststätten. Ich habe mich aber lieber mit meinen Picknick-Utensilien auf eine Bank an schmalen Umgang der Kirche niedergelassen und über das kleine Mäuerchen den Blick aufs Meer genossen. Von hier oben konnte man nämlich gut sehen, was sonst nur auf der Karte oder vom Flugzeug aus auszumachen ist: ein fast durchgängiger, leicht geschwungener Sandstrand und dahinter eine mehr oder weniger breite Lagune. An dieser Stelle änderte sich nun auch noch das Aussehen des Küstenstreifens für ein paar hundert Meter. Während sich rechts ein schmaler, begrünter Uferstreifen in Richtung Tavira hinzieht und sich neben der Lagune noch Salzwiesen zeigen, ist links gar keine Vegetation zu sehen. Der Uferstreifen flacht zu einer Sandbank ab und die Lagune wird zu einer flachen Pfütze, so dass man zu Fuß an den Uferstreifen kommt, was in der Badesaison sicher gern gemacht wird. Der große Parkplatz am Ortseingang lässt viele Besucher zu. Die reservierten Anwohnerparkplätze waren übrigens mehrheitlich von Spaniern belegt. Wenn das nicht alles Falschparker waren, dann haben sich die Spanier hier eingekauft. Bis zur Grenze sind es ja keine 20 km.
Von Cancela Velha geht wie gehabt weiter bis nach Manta Rota, einem kleinen Badeort mit breitem Strand und Platz für viele Besucher. Ab da kann man mehrere Kilometer auf Holz­stegen durch die Dünen laufen. Das ist großartig, vor allem wenn der Weg über einen kleinen Tümpel oder einen Wasserlauf führt. Vom Steg gibt es immer wieder Abzweige zum Strand und an den landseitigen Zugängen sind oft kleine Parkplätze. Auf einem solchen habe ich ein eigenwilliges Wohnmobil mit Kölner Nummer entdeckt, bei dem alle Luken offen standen. Von hinten sah das wie eine fahrende Bar oder eine mobile Bibliothek aus, denn es war nicht die übliche Wohnmobileinrichtung, dafür ein Bücherregal zu sehen. Ich habe den Besitzer, einen fast weißhaarigen Mann von geschätzt Ende fünfzig einfach angequatscht und ausgefragt. Auf die Frage, wo er herstammt, meinte er, dass er sich als einen Einheimischen betrachtet. Seinen angestammten Dauerstellplatz in der Nähe hat er gerade gekündigt und in der nächsten Woche setzt er auf die Kanaren über, weil da der Winter angenehmer ist. Was danach kommt, weiß er noch nicht. Auf die Musikinstrumente, überwiegend Trommeln, in seinem Wohnmobil angesprochen hat er mir erklärt, dass er Mantra-Musik macht, nicht um was zu verdienen, sondern um zu entspannen. Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass ich mich mit Mantra auskenne, weil ich bei einer Kur zur Entspannung immer „om“ sagen musste, worauf er mir erklärt hat, dass dies der Urlaut des Universums ist.
Er wollte mir das noch ausführlich erklären, aber ich musste los, da es schon fast fünf war und damit nur noch eine Stunde bis zum Dunkel­werden. Ich habe nur noch einen Blick ins Mobil geworfen und gesehen, warum das so leer ist: er hat die gesamte Liegefläche bis zur Decke hochgezogen, so, wie das andere mit der Eisenbahnplatte machen. Was ich von weitem für einen Barhocker gehalten habe, ist ein Hochstuhl an einem kleinen Arbeitsplatz. Seinen Namen habe ich nicht ganz verstanden, aber ich glaube es war „Chandaka“. Das ist ein buddhistischer Name, der „Wagenlenker des Buddha“ bedeutet. Gut vorstellbar, dass er sich den zugelegt hat.
Nachdem ich mich wieder verquatscht hatte, musste ich mich beeilen, denn lt. Karte ging es nun wiederholt durch den Wald, was man ja nicht unbedingt im Dunkeln machen sollte - nicht wegen der Räuber, sondern wegen der Wurzeln. Ich bin also flugs weiter auf dem Holzweg, bis dieser ein jähes Ende nahm, weil er auf ein umzäuntes Grundstück mit Kamera­überwachung traf. Der aushängenden Reklame zufolge entstehen hier Häuser direkt am Strand. Wer hier als Fußgänger oder Radfahrer unterwegs ist, muss entweder ganz vorn am Strand versuchen durchzukommen oder weit ins Hinterland ausweichen. Wer in den Dünen baut, will keine Neugierigen in der Nähe haben.
Da kommen einem Enteignungsgedanken auf. Das ist ja wie in Potsdam am Griebnitzsee, wo nach der Wende vom Bund der einst als Kolonnenweg an der Mauer genutzte Ufer­streifen an die Anrainer verkauft wurde und die Stadt Potsdam jetzt vor Gericht versuchen muss, Flächen für einen Uferweg zu bekommen. Hier muss man auch um den Zaun herum und vorbei an Engel&Völkers-Schildern auf eine Straße ohne befestigten Randstreifen. Das einzig Gute an diesem grauenhaften Umweg war, dass ich wieder was gelernt habe. Da lag plattgewalzt am Straßenrand etwas, was eindeutig wie ein Chamäleon aussah. Das kann doch nicht sein! Hier Chamäleons? Gibt ihr es die nicht nur in Afrika? Die bei Wikipedia zu findende Karte des Verbreitungsgebietes zeigt, dass diese auch im Süden von Portugal und Spanien vorkommen. Das erklärt auch, warum das Chamäleon hier so oft in Firmennamen oder -logos vorkommt.
Das Tierchen, dass da wie ein Abziehbild auf der Straße klebte, hatte alles zu bieten, was ein Chamäleon zu bieten hat: einen großen Kopf mit riesigen Augen und einen aufgerollten Schwanz. Nur die Zunge war zum Todeszeitpunkt gerade nicht ausgefahren. Und auch die Farbe im Moment des Ablebens war nicht mehr zu erkennen. Mit einem flachen Spachtel hätte man das Tier gut von der Straße abheben und dann in „Brehms Tierleben“ zur Fortsetzung des Trocknungsprozesses bei der entsprechenden Seite einfügen können. Nicht immer nur platte Frösche, die im Liebestaumel den Krötenzaun überwunden haben!
Als dann endlich wieder eine Anliegerstraße weg von der N-125 in Richtung Wasser führte, kam auch schon das nächste Reklameschild mit einem Chamäleon drauf - eine Immobilien­firma. Einerseits wird hier gebaut, als gäbe es keine Immobilienblase, andererseits trifft man auf Urbanisationen, bei denen man nicht weiß, ob sie schon aufgegeben wurden oder ob das noch aussteht. Durch eine solche ging es nun nämlich. Dass hier in Strandnähe viele Häuser nur Ferienwohnungen haben, die im Winter nicht genutzt werden, ist klar. Aber in dieser Urbanisation waren verdächtig viele Häuser verrammelt und bei manchen haben sich schon die Fensterläden in ihre Einzelteile zerlegt. Die Straße ist völlig marode und die gepflasterten Fußwege sind zur Hälfte aufgebrochen und nur mit Sand gefüllt worden, aus dem schon hohes Unkraut wächst. Hier sind vermutlich mal vor längerer Zeit Leitungen verlegt worden und die Firma war der Meinung, dass es sich nicht lohnt, die Wege nochmal zu pflastern. Wer hier als Bewohner durchhält, ist zu bewundern.
Hinter diesem nicht so schönen Stück ging es in den Wald. Ein Kiefern-wald, wie wir ihn kennen, nur dass hier am Boden Kakteen statt Farne wachsen. Eingebettet in dem bis zur Grenze reichenden Wald liegt Monte Gordo, eine große Bettenburg, wie man sie viel zu oft an der Mittelmeerküste findet. Eine lange Promenade mit Strand auf der einen und viel zu hohen Häusern auf der anderen Seite zieht sich durch den Ort. Zu dieser Jahreszeit geht es hier ja recht gemächlich zu, da sich auf der Straße und in den Gaststätten fast nur die alten Leutchen rumtreiben, die den Ort zu ihrem Alterssitz gemacht haben. Ich mag mir nicht vorstellen, was hier im Sommer los ist.
Beim Durchqueren des Ortes wurde es schon bedrohlich dunkel und die Laternen gingen an. Zum Glück gibt es neben den beiden Radwegen durch den Wald auch noch eine Straße nach Vila Real de Santo António. (Der schöne Ortsname wird hier oft völlig respektlos mit „VRSA“ abgekürzt.) Die Straße ist zwar sehr stark befahren, hat aber auf beiden Seiten Fuß- und Radweg und ist beleuchtet. So bin ich gut, schnell und sicher in meinen Zielort gekommen. Ich musste auch etwas zügig ausschreiten, da in meinem Quartier Check-In bis 19 Uhr war und das Navi sagte, dass ich kaum zwanzig Minuten früher da sein werde.
Um halb sieben kam auch prompt ein Anruf von portugiesischer Nummer, am Telefon eine alte Dame, die offenbar kein Wort Englisch versteht. Ich habe sie auch nicht verstanden, aber ich konnte mir wenigstens denken, worum es geht. Sie hat allerdings mit meinen „ten minutes“ nichts anfangen können und sinngemäß vor sich hin gebrabbelt, wie schlimm es ist, dass die Leute alle Englisch reden. Ich habe es dann mit „diez minutos“ probiert. Da hat es gefunkt, denn das klang offenbar so ähnlich wie das portugiesische „dez minutos“. Ich habe förmlich hören können, wie sich am anderen Ende der Leitung die Sorgenfalten glätteten. Fünf Minuten später stand ich vor der Tür …

Camino del Sur - Tag 2