Unterwegs von Faro nach Huelva und auf dem Camino del Sur von Huelva nach Zafra
Tag 7 (Do, 6.11.2025) Von Valverde del Camino nach Minas de Riotinto (29,5 km)
Ich habe gestern nach meinem Einkauf im Dia-Markt Juan Carlos geschrieben, dass ich abholbereit wäre und wenige Minuten später hielt seine Frau Anabel mit ihrem Auto neben mir. Nun ging es zurück an den Südrand der Stadt. Ihr Haus liegt gar nicht weit entfernt vom Camino. Da hätte man sich wegen mir nicht solche Umstände machen müssen.
Während ich mich in dem schönen Haus breitgemacht habe, hat Anabel zwei dicke Doraden zubereitet und in den Backofen geschoben. Dann hat sie sich meine Dreckwäsche aushändigen lassen und in die Waschmaschine gesteckt. Welch toller Service! Den habe ich gern angenommen, weil ich ja am Tag zuvor in der Polizeistation nichts waschen konnte und ich nicht wusste, was mich heute Abend erwartet.
Als die Doraden fertig waren, hat Anabel mich überreden wollen, schon mal zu essen, weil Juan Carlos, der Archiv und Bibliothek von Valverde del Camino betreut, erst um halb zehn kommen wird. Aber ich kann doch nicht losfuttern und den Hausherrn später allein essen lassen. So hungrig war ich auch noch nicht. Stattdessen habe ich mich unter Zuhilfenahme von Googles bzw. Apples Übersetzungsprogramm blendend mit Anabel unterhalten, die so gut wie kein Englisch spricht. Wie die Kinder haben wir uns gefreut, wenn der Übersetzer irgendwas Komisches ausgespuckt hat. Ich habe dabei z. B. erfahren, dass die beiden einen erwachsenen Sohn haben, der Informatiker ist und auch in Valverde wohnt. Anabel ist Podologin und hat in Valverde eine eigene Praxis. Früher hat sie von morgens früh bis abends spät gearbeitet, jetzt hat sie Öffnungszeiten. Lange Strecken kann sie leider wegen einer Knochenkrankheit nicht mehr laufen, darum freut sie sich, wenn Pilger ins Haus kommen und was erzählen. Fernando, mit dem beide befreundet sind, schickt ihnen immer mal welche. Vor zwei Tagen war erst ein Paar aus der Schweiz da, die müssen also knapp vor mir sein.
Anabel meint, dass der Altersdurchschnitt der bei ihnen beherbergten Pilger bei 78…79 Jahren liegt. Dem liegt sicher keine statistische Erhebung zugrunde, da das Alter beim Eintrag ins Meldebuch nicht erfragt wird. Aber auch wenn das nur subjektives Empfinden ist, zeigt es doch, dass hier ein anderes Publikum unterwegs ist, als auf den viel begangenen Wegen. Auf den zwei Seiten Meldebuch, die ich überfliegen konnte, stand nur eine Deutscher, ansonsten ein paar Franzosen und Italiener und der Rest Spanier und da vor allem Basken, wie diese stolz als Herkunftsland angegeben haben. Anabel erzählte übrigens, das auch mal ein deutsches Paar zu Gast war, wo er 82 und sie 92 war. Die haben sich auf einem Camino kennengelernt. Solch ein Paar habe ich auch schon mal getroffen.
Juan Carlos kam letztlich später als angekündigt, weshalb Anabel die Doraden nochmal in den Ofen schieben musste, die trotzdem anschließend ganz hervorragend geschmeckt haben. Juan Carlos hatte sich wohl wieder nicht von alten Dokumenten losreißen können. Er recherchiert gerade bezüglich der englischen Bergbau- und Eisenbahnunternehmen, die Ende des 19. Jahrhunderts hier aktiv waren. Dass man da nicht wegen einer Dorade alles pünktlich zum Feierabend beiseiteschieben kann, verstehe ich. Anabel ist dann irgendwann im Bett verschwunden und wir haben noch eine Weile gequatscht, unter anderem über den Bergbau rings um Minas de Riotinto, wo mein heutiges Ziel liegt. Hier wird neben Kupfer auch Eisen, Gold und Silber abgebaut, sowie Schwefel, woraus Schwefelsäure gewonnen wird, die zum Lösen der Metalle verwendet wird. Ich musste mich auch gleich belehren lassen, dass nicht das Kupfer die Erde und das Wasser rot färbt, sondern das Eisen. Kupfer kommt grün daher. Irgendwie logisch, denn was beim Eisen der Rost ist, ist beim Kupfer der Grünspan.
Um das zu untermauern hat Juan Carlos eine Kiste ins Wohnzimmer geschleppt, in der u. a. mineralhaltiges Gestein war und wo in einem bullig schweren Klumpen sowohl Eisen, als auch Kupfer zu finden sind. In der Kiste waren auch „Faustkeile“ aus der Römerzeit. Das sind Steine mit einer Griffmulde, mit denen man mit der Hand oder mit einem Stiel zur Axt gemacht, Erz zertrümmern konnte. Wenn dann die Vorderkante nichts mehr taugte, wurden die Steine weggeworfen, weshalb man die jetzt wohl überall finden kann. Mit solchen Themen verging die Zeit wie im Fluge und es war schon bald um zwölf, als ich ins Bett kam.
Der heutige Tag begann gleich mit einer Peinlichkeit. Ich hatte mir das angebotene Frühstück für um sieben erbeten und habe prompt verschlafen. Um halb acht kam Juan Carlos, um mich zu wecken. Die Zwischenzeit hatte er schon mal genutzt, um mir für unterwegs zwei Brötchen zu schmieren. Zum Glück war nicht auch Anabel wegen mir so zeitig aufgestanden. Sie kam aber noch, bevor ich aufgebrochen bin, so dass ich von den lieben Gastgebern noch ein Bild machen konnte.
Juan Carlo ließ es sich nicht ausreden, mich wieder in die Stadt zu fahren, etwa dahin, wo ich gestern aufgelesen wurde. Der gelaufene Weg soll doch keine Lücken aufweisen … Von dort, wo er mich abgesetzt hat, waren es nur wenige Meter bis zum Camino, der fast bis zum Ziel auf einem alten Bahndamm verläuft. Im ersten Teil ist der sogar asphaltiert, später nur glattgewalzt und dann auch auf langen Strecken lediglich eine Schotterpiste. Mitunter war der Weg auch von Forstmaschinen zerfurcht, weshalb man da um diverse Pfützen tänzeln musste. Aber nicht nur der Belag des Weges, sondern auch das leicht hügelige Umland war sehr abwechslungsreich. Mal war alles mit kniehohem, trockenem Gras bewachsen, dann gab es jüngst abgeholzte Flächen, auf denen aber schon wieder Bäume und Sträucher gepflanzt wurden oder stehengeblieben sind. Später kamen noch Viehweiden dazu, bei denen man immer ganz brav die Tore wieder hinter sich schließen musste. Und schließlich ging es durch endlose Zitronen- und Orangenplantagen. Sehr vereinzelt gab es am Weg auch Fincas mit überwiegend sehr ordentlichen Häusern. Ruinen waren kaum mal zu sehen. Wie zum Beweis, dass man auf einem Bahndamm läuft, gab es in der Nähe einer Straßen­kreuzung einen ehemaligen Bahnhof und auch mal eine ehemalige Verladeeinrichtung für Erz.
Da, wo dem Bahnbau Felsen im Wege lagen, hat man Schneisen hinein gehauen. Dort steht der nackte Felsen auf beiden Seiten bis zu fünf Meter hoch und erstrahlt in allen Farben. Je dichter man dem großen Bergbaugebiet kommt, desto bunter werden die Felsen. Es lief sich heute also überwiegend schön und es war abwechslungsreich. Das Wetter hat auch gut mitgespielt. Die Temperatur lag bei 16 Grad und der Himmel war leicht bewölkt. Ideales Pilgerwetter.
Kurz vor El Campillo, dem einzigen Ort an der Strecke, verlässt der Camino den Bahndamm und damit auch den Radweg „Eurovelo 1“, mit dem er die ganze Zeit identisch verlief. Lt. Karte geht es rechts ab und im Zickzack durch eine Orangenplantage. Von zwei Arbeitern, die dort zwischen den Bäumen gemäht haben, wollte ich wissen, ob denn auch wirklich am anderen Ende der Plantage ein Tor offen ist. Die sahen das aber aus Aufforderung an, mir einen viel besseren Weg zu erklären und ihre Hände zeigten nicht nach El Campillo, sondern in entgegengesetzte Richtung. Da ich ja schon wiederholt erlebt habe, dass die Spanier einem gern mal was erklären wollen, was die selbst nicht wissen, bin ich unbeirrt nach meiner Karte weitergelaufen, bis mich deren Pfeifen, Rufen und Winken veranlasste, klein beizugeben und dahin abzubiegen, wohin sie zeigten. Um es kurz zu fassen: ich bin dem Labyrinth, in dem ich mich nun befand, wieder entronnen und an der Straße angekommen habe ich gesehen, wie gut und schnell ich dorthin gelangt wäre, wenn ich stur geblieben wäre.
Letztendlich war es aber blöd, überhaupt den Bahndamm zu verlassen, denn das, was ich in der Plantage nach unten gelaufen bin, musste ich nun auf einer staubigen Straße nach El Campillo wieder hochlaufen. Das hat vielleicht ein paar hundert Meter gespart, aber zeitlich war das keine Abkürzung.
In El Campillo hatte ich übrigens vor ein paar Tagen im Rathaus bzgl. einer Herberge angefragt und die Antwort bekommen, dass diese zwar geschlossen sei, man mir aber einen Schlafplatz in einem Pavillon herrichten würde, wenn ich mich einen Tag vorher melde. Da sich zwischenzeitlich herausstellte, dass es auch in Minas de Riotinto eine Unterkunft gibt und der Ort günstiger gelegen ist, habe ich gestern noch in El Campillo abgesagt. Um den Ort aber nicht völlig zu ignorieren, bin ich wenigstens in einer Bar an der Fernstraße A-461 eingekehrt, um mich zu erfrischen. Um nicht die paar Meter zum Camino zurücklaufen zu müssen, bin ich für die verbleibenden zwei Kilometer bis Minas de Riotinto gleich an der Straße geblieben, was aber keine so gute Idee war, weil ich immer vom schmalen Randstreifen ins Bankett treten musste, wenn ein Auto dicht an der Begrenzungslinie fahrend vorbeirauschte.
Für den Rest des Nachmittags hatte ich mir noch einiges vorgenommen. Da der Camino von Minas de Riotinto über Campofrío nach Aracena entlang der nunmehr nach Norden führenden A-461 verläuft und im Gebiet der Minen sehr gefährlich sein soll, habe ich mich von Fernando und Juan Carlos überreden lassen, bis Campofrío einen alternativen Weg zu nehmen, der sehr schön und sicherer ist. Damit wäre mir aber der Blick in die Minen beidseits der genannten Straße entgangen, den ich schon auf Bildern bestaunt habe.
Auf der Karte war zu sehen, dass es nach etwa tausend Metern an besagter Straße einen Parkplatz mit Aussichtspunkt gibt. Bis dort wollte ich mich wenigstens vorkämpfen und den vermutlich grandiosen Blick in die Minen genießen. Dass ich dies jetzt schreiben kann, beweist, dass ich es überlebt habe. Es war aber wirklich kein Spaß. Der Randstreifen der Straße ist vielleicht zwanzig Zentimeter breit und dann kommt die Leitplanke, hinter der es bergab geht. Beim normalen Gehen ragt man also schon mit dem Rucksack auf die Fahrbahn. Deshalb habe ich mich zumindest bei größeren Fahrzeugen seitlich hingestellt, den Rucksack über die Leitplanke ragen lassen und gehofft, dass mir keiner über die Füße fährt. Aus Angst, dass das jemand nachmacht, müsste ich eigentlich verschweigen, wie überwältigend der Blick in die riesige Grube „Cerro Colorado“ auf der rechten Seite (östlich der Straße) ist. Die ist bis zu 230 Meter tief und über die Rampen, welche die Terrassen miteinander verbinden, fahren Fahrzeuge bis ganz nach unten. Abgebaut wird aber derzeit auf etwa 80 Meter Tiefe. Die riesigen Dumper, die im Minutenabstand zum Beladen da runter fahren, sehen unten angekommen wie sehr kleine Spielzeugautos aus. Voll beladen kämpfen sie sich anschließend die Rampe hoch, um dann je nach Qualität des geladenen Materials zur Halde oder ins Werk zu fahren. Auch das ist ein Schauspiel, dem ich lange zuschauen könnte. Da es aber schon fast um fünf war und ich noch ins Minenmuseum wollte, das um sieben schließt, musste ich mich schließlich losreißen und den Rückweg antreten. Die vielen Bilder, die ich unterwegs und vom Aussichtspunkt aus gemacht habe, vermitteln hoffentlich wenigstens ansatzweise den grandiosen Eindruck, den die Mine auf mich gemacht hat.
Die zwar flächenmäßig kleinere, aber bis zu 365 Meter tiefe Mine „Cerro de San Dionisio“ bzw. „Corta Atalaya“ auf der linken (westlichen) Straßenseite war leider nicht zu sehen, weil ringsum ein großer Wall aufgeschüttet ist. Hier muss man sich mit den Bildern im Web oder dem gruseligen Satellitenbild bei Google Maps begnügen.
Um viertel sechst war ich zurück im Ort und habe mir dort zunächst die zum Museum gehörende „Casa 21“ angeschaut. Das ist in der ehemaligen Wohnsiedlung „Bella Vista“ der englischen Ingenieure das Haus mit der Nummer 21. In dem Haus sind auf drei Etagen Wohnungen so eingerichtet, wie es am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts bei gehobenem englischem Personal üblich war. Dazu viele Bilder und (leider nur spanische) Erklärungen, wie für die Familien der Alltag, aber auch das gemeinsame Feiern bei Festen aussah.
Der zweite Teil des Museums liegt mitten in der Stadt auf einem Hügel. Dort wird in verschiedenen Sälen die Geologie des Ortes erklärt und was man hier aus der Erde holt. Am Aussichtspunkt war schon zu lesen, dass dies allein aus der Mine „Cerro Colorado“ u. a. jährlich 6.700 kg Gold und 140.000 kg Silber sind! Dafür werden jährlich 4,5 Millionen Tonnen Gestein bewegt. Im Museum findet man zu allen gefundenen Mineralien auch Ausstellungs­stücke, die in den tollsten Farben funkeln und mitunter ganz bizarre Formen aufweisen. Beim nächsten Besuch im Naturkundemuseum muss ich mal darauf achten, ob dort unter den Mineralien auch welche vom Rio Tinto sind. Sicher. Im hiesigen Museum wird außerdem anhand von Modellen gezeigt, wie sich die Form und Größe der Gruben, aber auch der angrenzenden Siedlungen über die Zeit geändert hat. Zudem sind natürlich auch alle mög­lichen Gerätschaften zu bewundern. Eine ganze Abteilung beschäftigt sich mit der hiesigen Erzgewinnung zur Zeit der Römer und unter der Erde kann man den Stollen eines römischen Bergwerkes besichtigen. In einer angrenzenden Halle gibt es zudem zwei Lokomotiven und einen noblen Personenwagen der Eisenbahn zu sehen, welche die Engländer vor 150 Jahren entlang des Rio Tinto von hier bis nach Huelva gebaut haben.
Kurz vor sieben wurde ich als letzter aus dem Museum gekehrt. Im Dunkeln bin ich dann zu meinem heutigen Quartier, dem Sportzentrum (Polideportivo) von Minas de Riotinto. Dort soll man sich an der Rezeption melden. Die Tür der Halle stand offen, weil drinnen reichlich Betrieb war, doch an der Rezeption war leider niemand. Aber noch bevor ich die Telefon­nummer rausgesucht hatte, kam ein junger Mann, der meine Personalien aufgenommen und mich zu meinem Zimmer oben auf der Tribüne der Halle geführt hat. Das ist wieder ein Abstellraum, in dem aber eine Luftmatratze und zwei aufeinander gestapelte Trainingsmatten liegen und noch zwei einfache Campingbetten bereitstehen. Den Raum teile ich mir mit zwei Böcken und drei Kajaks, die hier ihre Ruhestätte gefunden haben. Da es sogar ein Heizgerät gibt, sollte es hier auszuhalten sein. Toiletten gibt es hier oben auf der Tribüne, Duschen unten zwischen den Umkleidekabinen. Ab zehn ist die Halle geschlossen, dann ist alles meins.

Camino del Sur - Tag 7