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Unterwegs von Faro nach Huelva und auf dem Camino del Sur von Huelva nach Zafra | ![]() |
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Tag 11 (Mo, 10.11.2025) Von Cañaveral de León nach Valencia del Ventoso (35,2 km)
Dank dem Unter-dem-Tisch-Heizer, den ich durch Hochschlagen der Tischdecke zum Raumheizer umfunktioniert habe, waren in der Herberge akzeptable Temperaturen - nicht bullig warm, aber so, dass der Pullover und eine Decke über dem Schlafsack ausgereicht haben. Socken, Hosen und Anorak waren beim Schlafen nicht notwendig.
Ich hatte mir den Wecker auf um fünf gestellt, weil ich spätestens um sechs loslaufen wollte. Es stand doch eine lange Strecke von 37 km an, die ich vor dem Dunkelwerden absolvieren wollte. Da die sehr ange-nehme Herberge auch eine Mikrowelle hatte, bin ich erstmals dazu gekommen, mir einen löslichen Kaffee aufzubrühen. Zum Glück habe ich mir nur ein paar Tütchen „2 in 1“ mitgenommen. In der Herberge hätte es übrigens auch eine Waschmaschine gegeben, kein ganz aktuelles Modell, aber sicher ok.
Die Herberge liegt zwar am Stadtrand ganz dicht am Camino, aber leider konnte ich morgens nicht gleich durchstarten, da ich erstmal ins Dorf musste, um den Schlüssel beim Rathaus in den Kasten zu werfen. Um halb sieben war ich dann endlich in der Spur. Da es noch eine Stunde stockfinster war, habe ich die kleine LED-Lampe, die ich unlängst geschenkt bekommen habe, an den Bauchgurt des Rucksacks geklemmt und damit die Straße vor mir ausgeleuchtet und mich den wenigen entgegenkommenden Autos zu erkennen gegeben. Mein Nachbar musste mir dieses Mal also nicht seine Stirnlampe leihen und konnte in meiner Abwesenheit ungehindert mit der Lampe am Kopf an seiner Modelleisenbahn basteln.
Ich bin am Straßenrand gut vorangekommen und war nach zwei Stunden in Fuentes de León, wo ich in einer Bar ein zweites Frühstück genommen habe - wie üblich Toast mit Olivenöl und Tomate. Dazu natürlich ein Café con leche. Aus der Stadt raus ging es noch ein Stück auf der Straße und dann hinter einer Kapelle am Straßenrand rechts ab in die Dehesas. Hier gab es mal auf jedem abgetrennten Weidestück Tiere zu sehen: Kühe, Schafe und Ziegen sowie die schwarzen Schweine. Bei letzteren ist es ganz seltsam, dass auf vielen Grundstücken die Schweine sofort wegrennen, wenn sie einen bemerken, aber auf anderen Grundstücken zum Zaun eilen, wenn sie dort jemand sehen. Das hatte ich hier an einem mit einer kleinen Mauer umgebenen Grundstück. Zwei Schweine, die mich gesehen haben, kamen an die Mauer und alle anderen rannten ihnen hinterher. Letztlich standen da 11 neugierige Schweine, von denen manche sogar versuchten, die Mauer zu erklimmen.
Bei den Schafen fiel mir eine Herde auf, die vermutlich für den Export bestimmt ist, denn die auf den Bauch gesprühten grünen Zeichen sahen wie chinesische Schriftzeichen aus. Natürlich gab es auch heute wieder Hunde, die erst die große Klappe hatten und sich dann streicheln ließen.
Um etwas von der beim Tiere Beobachten und Fotografieren verlorenen Zeit aufzuholen, bin ich kurz vor Segura de León, wo der Camino die Straße kreuzt, gleich auf der Straße geblieben. Das hat den Weg etwas verkürzt, aber nicht den Aufstieg in die Stadt erspart. Die hat im Übrigen eine hervorragende Silhouette abgegeben. Auf einem Hügel inmitten der Stadt steht eine Burg und auf einem zweiten die Kirche. Dazwischen die weißen Häuser.
Wie in Fuentes de León habe ich mir auch hier im Rathaus einen Stempel geholt. Hier direkt am Camino weiß man im Rathaus sofort, worum es geht, wenn man wie bei Robert Lemke die fürs Stempeln typische Handbewegung macht. Den Weg zur Burg habe ich mir gespart, da die am Montag ganz sicher geschlossen ist. Zur Kirche bin ich hochgelaufen, aber die war natürlich zu. Da auch die einzige Bar am zentralen Platz (Plaza de España) geschlossen war, habe ich jemand nach einer Bar gefragt und bin zu einem Haus geschickt worden, an dem ich auf dem Weg zur Kirche schon mal vorbeigelaufen bin, das „Hogar del Pensionistas“ (Heim der Rentner). Da war ich richtig und da gab es für die alten Herrschaften am Tresen auch mein Lieblingsgetränk. Allerdings musste man alles selbst bezahlen, die Rentenkasse gibt bei den Getränken nicht mal was dazu.
Hinter Segura de León geht es zunächst etwa 12 km auf einem guten Weg durch die Dehesas, auf dem es viel zu sehen und auch was zum Nachdenken gab. Am Vormittag hat mich nämlich die Nachricht ereilt, dass Dietmar, einer aus unserem Pilgerverein (St. Jakobus-Gesellschaft Berlin, Brandenburg und Oderregion e.V.) im Alter von 72 Jahre nach einer OP an einer Embolie verstorben ist. Von ihm stammte der Spruch „Es gibt ein Leben vor dem Camino und eins danach“, was zeigt, wie viel ihm der Weg nach Santiago bedeutet hat. Nun hat er seine letzte Reise angetreten.
Ich habe ein langes, glattes Stück genutzt, um schon mal für Morgen in Zafra ein Quartier ausfindig zu machen, das Zugticket nach Madrid zu kaufen und in Madrid etwas für die letzte Nacht zu buchen. Der Ticketkauf bei „Renfe“, dem spanischen Eisenbahnunternehmen, war eine große Herausforderung. Nach Auswahl der Verbindung war ein spanisches Formular mit dem persönlichen Daten zu füllen, was mehrerer Ansätze bedurfte, da sich Menüs nicht öffneten oder die deutsche Ausweisnummer nicht akzeptiert wurde. Als es ans Bezahlen ging, wurden viele Varianten angeboten, u. a. Apple Pay und Paypal. Ich habe ersteres gewählt, weil das ja eigentlich die einfachste Variante ist. Aber meine Bank hat angeblich die Bezahlung abgelehnt. Als Alternative wurde mir Kartenzahlung angeboten. Also stehen bleiben, Rucksack absetzen, Karte rauskramen, alles eintippen und abschicken. Nun meldet sich die Banking App und will von mir zur Sicherheit den PIN-Code haben, was bisher noch nie der Fall war. Da ich den nicht auf der Karte notiert und auch nicht im Kopf mit mir rumgetragen habe, musste ich noch eine andere Variante wählen. Zur Auswahl von Paypal kam ich aber nicht mehr zurück. Also alles, angefangen von der Auswahl des Zuges, nochmal. Nun hat es aber mit Paypal problemlos geklappt.
Ich „liebe“ die spanischen Online-Formulare, seit ich das erste ausfüllen musste: die Reservierung in Roncesvalles, die mir auf meinem ersten Camino im Pilgerbüro in Saint-Jean-Pied-de-Port dringend empfohlen wurde. Nachdem ich da alles ausgefüllt hatte, fand sich am Ende des Formulars kein Button zum Abschicken. Nach wiederholten Versuchen habe ich den Button dann im Kopf des Formulars entdeckt und zwar in einem Bereich, der nicht sichtbar ist, wenn man das Formular auf lesbare Größe zoomt.
In dem letzten Tagen vor dieser Reise habe ich verschiedene Stadt-verwaltungen bzgl. Herbergen angeschrieben oder anschreiben wollen. Nur selten fand man auf der Webseite eine Email-Adresse, oft sollte man ein Kontaktformular ausfüllen, das aber ohne Eingabefeld und Button erschien, vermutlich weil ich nicht angemeldet war. Um sich zu registrieren, müssen aber Daten angegeben werden, mit denen man als Fremder nicht dienen kann. Meine Lieblingsformulare sind übrigens in Galicien die Anmeldungen zum WLAN in manchen kommunalen Herbergen. Da muss man im Feld „Email“ die Telefonnummer angeben, da man den Verifizierungscode per SMS bekommt.
Die machen es einem nicht leicht. Aber so wie die Spanier wissen, hinter welcher Tür sich ein Supermarkt befindet und wann der meistens aufmacht, wissen die vermutlich auch, was man wo in unsinnige Formulare eintragen muss. Auch auf einsamsten Wegen ist man also nicht ganz der technisierten Welt entrissen.
Zum Glück hatte ich alles erledigt, bevor es an den Abstieg runter zur Bahnlinie und zu der dahinter liegenden Straße ging. Auf dem nun steilen, ausgewaschenen und teilweise felsigen Weg war nicht mehr daran zu denken, aufs Smartphone zu schauen. Da musste man zusehen, dass man nicht stolpert oder umknickt. Bei oder nach Regen muss das ein Spaß sein, weil dann offenbar das Wasser den gleichen Weg nimmt.
Zeitlich war ich ganz gut dran. Es war um drei und auf der Straße waren es noch sieben Kilometer bis Valencia del Ventoso, meinem Tagesziel. Da mir sowohl Fernando, als auch Juan Carlos sagten, dass es nun immer entlang der Straße geht und rieten, ggf. ein Taxi zu nehmen, habe ich nicht weiter auf gelbe Pfeile geachtet, sondern den Blick auf die zwar eintönigen, aber trotzdem reizvollen Dehesas ringsum gerichtet. Irgendwann habe ich dann aber auf der Karte gesehen, dass man zwei Kilometer Straße auf einem Feldweg hätte umgehen und dabei sogar etwas sparen können. Aber an dem Abzweig war ich schon vorbei. Egal. Es war gerade Siesta und deshalb nicht viel los auf der Straße.
Wie nicht anders zu erwarten, liegt auch Valencia del Ventoso auf einem Berg, so dass das letzte Stück nochmal anstrengend wurde. Um fünf war ich im Ort und in der Bar „Bodega“, wo ich mir den Herbergsschlüssel holen sollte.
Der Kneiper hinterm Tresen sagte auf meine Frage, ob er den Schlüssel zur Herberge hat, dass er nichts davon wisse. Und die drei Männer am Tresen stürzten sich gleich verbal auf mich und meinten, dass ich weiterlaufen müsse. Ob mich denn nicht die Nachricht erreicht habe, dass die Herberge kalt und geschlossen ist. Irgendwann habe ich gemerkt, dass die mich auf den Arm nehmen und es entspann sich mittels Übersetzungsprogramm eine lustige Plauderei. Einer der drei, der angeblich erst 38 war, alberte rum und schmetterte Arien, die beiden anderen stachelten ihn immer wieder an. Ich habe Fotos gemacht und seine Singerei gefilmt. Nun war ich damit an der Reihe, die drei auf den Arm zu nehmen und ich habe ihnen erzählt, dass die Aufnahmen für das deutsche Fernsehen seien, aber vielleicht auch in Amerika ausgestrahlt werden. So nahm die Blödelei weiter ihren Lauf. Vom hiesigen Wein haben sie mir auch zu trinken gegeben und noch ein zweites Bier spendiert. Als der Wirt kleine Spieße mit Gurken und Peperoni auf den Tisch stellte, haben sie gelauert, was für ein Gesicht ich beim Essen mache. Aber so sonderlich scharf waren die Dinger gar nicht.
Zwischendurch kam einer in Zivil in die Kneipe und wurde mir von den anderen hinter seinem Rücken gestenreich als der Polizist von der Guardia Civil vorgestellt. Er würde mich ganz bestimmt kontrollieren. Aber den Ausweis, den ich gezückt habe, wollte der gar nicht sehen, sondern hat mir das Gästebuch der Herberge rübergeschoben und um einen Eintrag gebeten. Da ich diese bis dahin noch nicht gesehen hatte, konnte ich dazu nichts schreiben, sondern nur den Empfang in der Bar loben. Dann habe ich stolz meinen Stempel von der Polizei in Trigueros rumgezeigt und erklärt, dass ich gut mit den hiesigen Beamten auskomme.
Einer der drei offenbarte dann, dass er mich zur Herberge bringt. Da es in der Bar nichts zu essen gab, boten die Männer an, mich in einer halben Stunde abzuholen mit mir zum Essen aufs Land zu fahren. Mit einem schrägen Blick auf die Autoschlüssel, die neben den Weingläsern lagen, habe ich etwas zaghaft zugesagt.
In rasanter Fahrt ging es um drei Ecken und schon stand ich gegenüber der hiesigen Festung vor einer Tür, über der „Refugio“ stand. Einen Schlüssel brauchte man gar nicht zum Betreten, der hing drinnen an einem Haken, damit man abschließen kann, wenn man seine Sachen drin hat und weggeht, so wie ich das gleich gemacht habe. In der mir gegebenen halben Stunde bin ich schnell zum nahen SPAR gelaufen und habe mir da was für den nächsten Tag geholt.
Um viertel acht hielten dann Augustin und Juan Manuel mit ihren klapprigen Autos vor der Tür, um mich abzuholen. Sie fuhren aber erstmal nur bis zum nächsten Laden und offerierten mir, dass sie ja doch reichlich getrunken hätten und deshalb hier etwas zum Abendbrot kaufen, statt zum Essen zu fahren. Das war mir dann mehr als recht.
Mit zwei Einkaufstüten sind wir ein paar hundert Meter zu einem Rastplatz am Stadtrand gefahren und haben dort Picknick gemacht. Die Autos wurden so platziert, dass Tisch und Bänke im Scheinwerferlicht lagen und dann wurde das Gekaufte ausgebreitet: Brot, Käse, Schinken, Wurst, Tortilla, marinierte Muscheln usw. Schließlich wurde gegessen und dabei geplaudert, wobei ich das Smartphone mit dem Übersetzungsprogramm immer rumreichen musste. Das hat einen riesigen Spaß gemacht, vermutlich mehr, als zusammen in der Gaststätte beim Essen zu sitzen. Zwischendurch fuhr mal die Guardia Civil vorbei, die sich aber nicht für uns interessiert hat.
Weil ich kleidungsmäßig nicht auf ein Essen im Freien eingerichtet war, hat mir Augustin eine Decke aus dem Auto geholt und ich saß dann da wie ein Indianer im Poncho. Als wir zurückfahren wollten, war wegen der Dauerbeleuchtung des Rastplatzes Augustins Autobatterie alle. Nun hieß es Anschieben, aber das hat nichts genutzt. Juan Manuel hat schließlich ein Starthilfekabel hervorgezaubert, mit dem das Auto wieder in Gang gesetzt werden konnte. Zwei Minuten später war ich in der Herberge, die sich als gut brauchbar erwies: drei Doppelstockbetten, ein Bad mit Dusche, ein Zimmerchen mit Spinden und ein Waschtisch. Dazu eine Mikrowelle, etwas Geschirr und (ganz wichtig!) ein Heizlüfter. Und das alles sehr ordentlich, sauber und wieder umsonst! Fernando hatte mir schon eine Nachricht geschickt, dass der Bürgermeister nichts von den Pilgern haben will, die nur eine Nacht bleiben - so wie das im Mittelalter mal üblich war.
Nach den vielen Tagen ohne Gesellschaft, war es toll, einen Abend mit so netten Menschen zu verbringen, obwohl (oder weil) es nur Blödelei und keine tief schürfenden Gespräche gab.
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Camino del Sur - Tag 11 | ![]() |